Kritische Anmerkungen zum Umgang mit dem Phänomen "sexueller Missbrauch"
Autorin: Maria Reinecke, Psychologische Beraterin (VFP) und Schriftstellerin, maria-reinecke.de, Berlin 2009.
Inhalt
Erste Folge
1.1 Vorbemerkung
1.2 Allgemeines
1.3 Falsche Verdächtigung
1.4 Ein anonymer Fall
1.5 §164 STGB
Zweite Folge
2.1 Fragwürdige sprachliche Begrifflichkeiten
2.2 Therapie zur "Aufdeckung von Erinnerungen"
2.3 Das Gedächtnis. Erinnerungen – Vorstellungen
2.4 Fatale Folgen
Dritte Folge
3.1 Ein neues Pharisäertum
3.2 "Sexueller Kindesmissbrauch" als Teilaspekt häuslicher Gewalt
3.3 Instrumentalisierung von "sexuellem Missbrauch"
1.1 Vorbemerkung
Sexueller Kindesmissbrauch ist ein Verbrechen, das zu Recht Abscheu in der Gesellschaft auslöst und dem mit Aufklärung, Vorbeugung und zivil- und strafrechtlichen Maßnahmen begegnet werden muss.
Hinter dieser klaren, eindeutig anmutenden Aussage und Forderung verbergen sich hoch komplexe, komplizierte Sachverhalte, über die sich etwa seit den 80er- und 90er-Jahren eine anhaltende, kontrovers und emotionsgeladen geführte, ideologisch befrachtete, medial und politisch geschürte Diskussion in fast allen gesellschaftlichen Lagern in Deutschland entzündet hat.
Ich habe das Thema "sexueller Kindesmissbrauch" bereits 2006 in dem Roman "Das Leben liegt in den Zwischenräumen" anklingen lassen – zum Unbehagen vieler Leser. Auch in der Barcelona-Story "La Rambla" blitzt die Thematik auf, wenn auch aus eher ungewöhnlicher Sicht.
Bei der Recherche zu meinem neuen Roman, in dem ich das Thema intensiver beleuchten will, bin ich wieder auf beunruhigende Fakten gestoßen, die ernste Fragen aufwerfen, über die in der Öffentlichkeit kaum jemand ein Wort verliert; insgesamt Forschungsergebnisse, die Zweifel aufkommen lassen, ob das, was wir so selbstverständlich in diesem Zusammenhang denken und zu wissen meinen, ausreicht, um verantwortungsvoll mit der schwierigen Problematik umzugehen; Zweifel auch, ob das, was von offiziellen Seiten im Namen des Kindes und zum Schutz und Wohl des Kindes unternommen wird, tatsächlich immer zum Wohl des Kindes beiträgt.
1.2 Allgemeines
Der nachhaltige Einfluss der Freud’schen Theorie, Mädchen und Frauen würden sexuellen Missbrauch nur phantasieren, hat sich im vorigen Jahrhundert besonders nachteilig für die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Phänomen Kindesmissbrauch ausgewirkt und die Gesellschaft insgesamt zu lange daran gehindert, der Realität des sexuellen Kindesmiss-brauchs allgemein und insbesondere in der Familie offen und aufklärend zu begegnen.
So ist es verständlich, wenn in den 80er-Jahren im Gegenzug eine feministisch geprägte, spektakulär engagierte, stark emotionalisierte, politisch propagierte landesweite Kampagne gegen sexuellen Missbrauch startete. Es war höchste Zeit, die bestehenden Tabus zu brechen und das leidvolle Thema öffentlich zu machen und anzugehen.
Was als befreiende Aufklärung zum Schutz und Wohl des Kindes begann, wurde in der Folge durch einseitige mediale Berichterstattung, verschärft tendenziöse Aufklärungskampagnen und wissenschaftlich unhaltbare Doktrinen allgegenwärtiges öffentliches Schreckgespenst; die Gewichtung und Vielschichtigkeit des Problems dabei verzerrt.
Der Begriff "sexueller Missbrauch" wird seitdem inflationär für alle möglichen Vorkommnisse benutzt: Altersgruppen werden nicht mehr differenziert; spezifische Beziehungsstrukturen und Ereignistypen nicht erwähnt, präzise Handlungsabläufe des Geschehens kaum berücksichtigt: so steht bei dem Stichwort "sexueller Missbrauch" in der öffentlichen Wahrnehmung der Kindsmörder neben dem Pädophilen; die brutale anale Vergewaltigung eines fünfjährigen Mädchens durch einen Psychopathen neben homoerotischen Verwicklungen zwischen einem 15- Jährigen und einem Homosexuellen; der intrafamiliäre Missbrauch einer Dreijährigen durch eine gewalttätige Bezugsperson neben dem Zungenkuss einer fast volljährigen Jugendlichen mit einem fünf Jahre älteren Erwachsenen.
Von wissenschaftlicher Seite wird beklagt, dass sowohl der universitäre Forschungs- als auch der forensische Wissenschaftsbetrieb in den Fängen hysterisierender Sensationsberichterstattung und in Abhängigkeit von politischen Vorgaben und öffentlichen Geldgebern stünden und nicht mehr frei und offen über das heikle Thema publizieren dürften.
Der Psychologe M. Griesemer weist darauf hin, dass es kaum noch eine gesellschaftliche Gruppierung gibt, die das Thema "sexueller Kindesmissbrauch" nicht für ihre eigenen Interessen nutzen würde – wobei die Belange des Kindes längst keine Rolle mehr spielten, z.B.:
· Der kommerzielle Sensations-Medienbereich: Sex & Crime verkaufen sich immer gut.
· Dem Feminismus dient das Phänomen zur Versinnbildlichung des männlichen Täters.
· Das konservative Lager beklagt damit die allgemeine Degenerationserscheinung in der Gesellschaft.
· Die Linken reaktivieren ihren marxistischen Ausbeutungsbegriff, indem sie die "sexuelle Ausbeutung" als neoimperialistische Ausbeutungserscheinung deklarieren.
· Religiöse und kirchliche Gruppen verdammen die ganze Thematik als ein Sodom und Gomorra und halten so ihre Tabus, sich der Dimension der Sexualität zu stellen, aufrecht.
· Intellektuelle aller Facetten sehen darin ein Syndrom der Geheimhaltung des verlogenen Bürgertums; für sie ist intrafamiliärer Missbrauch die Konsequenz patriarchalischer Strukturen.
· Parteipolitische Interessen schüren Aktionismus durch Eilanträge auf fragwürdige Verschärfung der Gesetze, um Wählerstimmen zu gewinnen etc.
1.3 Falsche Verdächtigungen bei sexuellem Missbrauch
Oft unterschätzt wird die Gefahr blindwütiger Vorverurteilung und Verleumdung eines vermeintlichen Täters bei dem Verdacht auf "sexuellen Missbrauch" trotz völlig ungeklärter Sachlage, vor allem dann, wenn es dem Kläger um originär ganz andere Motive geht, z.B. um Rache, Eifersucht, Hass, Familien-Intrigen bei Scheidungsprozessen, ideologisch-religiöse Verbissenheit, Fanatismus etc.
Eine aus der Luft gegriffene Anklage wegen sexuellen Missbrauchs kann jeden Menschen schnell erledigen, denn eines ist klar: ihm wird niemand glauben.
So steht heute dem Drama eines tatsächlich "sexuell missbrauchten" Kindes mit leidvollen Folgen das Drama eines irrtümlich oder bewusst fälschlich angeklagten, zu Unrecht verurteilten "Täters" gegenüber. Einst glaubte man dem Kind nicht, jetzt glaubt man dem Erwachsenen nicht. Eine wirklich aufgeklärte Gesellschaft sollte es sich leisten, den offenen Blick in beide Richtungen zu wagen.
1.4 Ein anonymer Fall
Wie leicht es zu Verdächtigungen in Bezug auf sexuellen Missbrauch kommen kann, zeigt ein Fall, den ich am 27. Februar d. J. in einem Internet-Forum für Hilfesuchende gefunden habe; dort schreibt ein junger Mann:
"Ich bin 19 Jahre alt und ich werde des schweren Sexuellen Missbrauchs an einem 7 jährigen Kind beschuldigt.
Um das ganze Geschehen etwas deutlicher zu machen, werde ich es Ihnen etwas genauer erzählen wie es dazu kam, das ich mit dem besagten Kind in Verbindung kam.
Nach der Trennung meiner Eltern vor ca. 2 einhalb Jahren beschloss ich mein weiteres Leben mit meiner Mutter zu verbringen. Sie brachte mich damals zu meinem Onkel nach Italien wo ich dann bis zum 15 Mai 2004 war. Sie erzählte mir von einem Mann den sie kennengelernt hat und bei dem sie nun wohne. Sie hat mir damals, bevor ich dann zurück nach Deutschland kam auch gesagt das er geschieden ist und aus dieser Ehe eine 7 jährige Tochter habe, die sehr nervig und aufgeweckt ist. Sie sagte mir, dass das Kind auch unter der Krankheit ADS leide.
Ich hatte mir daraus nichts gemacht und hatte auch keinerlei Bedenken, vor der Begegnung mit dem Vater und dem Kind.
Ich war dann erstmal froh, aus Italien weg zu sein und lebte mich bei meiner Mutter und ihrem Freund gut ein.
Da das Kind nur alle 2 Wochen am Wochenende bei uns war, ging es am Anfang auch immer gut. Meine Mutter und auch der Vater des Kindes, waren immer heil froh wenn es wieder nach Hause zur Mutter musste. Auch ich war froh endlich wieder meine Ruhe zu haben, denn das Kind hing immer bei mir da sich der Vater nicht drum kümmerte...
Es war auch alles okay bis meine Mutter und ihr Freund sich einen BMW kauften, seine Ex Frau hatte dies gesehen und ein sehr komisches, ich würde sogar sagen eifersüchtiges Gesicht gemacht, welches ich selbst gesehen habe. Nach einiger Zeit kam dann schon die erste Beschuldigung gegen den Vater. Das er angeblich Zungenküsse mit dem Kind mache und es dem Kind nicht passe.
Danach ging der Vater zu der Mutter und dem Kind nach Hause und nachdem sie alles beredet hatten, war es ohne jegliche weitere Probleme geregelt.
Meine Mutter allerdings meinte an dem Tag noch zu der Mutter des Kindes." Was ist wenn das Kind mal behauptet das mein Sohn (also ich)" etwas derartiges mache.
Danach vergingen einige Monate wenn ich mich recht dran erinnere in etwa 4-6.
Ich dachte es wäre ein Freitag wie jeder andere. Meine Mutter und ihr Freund gingen putzen, während ich auf das Kind aufpasste.
Aber dies war nicht der Fall. Meine Mutter hat mich am Handy angerufen und meinte, dass sie mich dringend sprechen müsste da etwas Schlimmes vorgefallen sei. Danach holten sie, meine Mutter und ihr Freund, mich ab. Meine Mutter sprach mich dann direkt auf das Problem an und meinte, so krass sich das nun auch anhören mag, dass das Kind behauptet, das ich an ihr sexuelle Handlungen getätigt habe. Sie sagte, dass ich mein Genital an ihrem Bauch gerieben habe bis Schaum raus kam. Und welchen ich dann angeblich auf den Bauch des Kindes getan habe. Als wir dann bei der Mutter und bei dem Kind ankamen lachte mich das Kind mit einem hinterhältigen Lachen an (so ein grinsen) daraufhin erzählte mir die Mutter was das Kind behauptet und ich wurde erst mal ganz aufgeregt und sagte der Mutter meine Meinung und fragte was das soll.
Als ich dann von mir aus sagte dass wir zur Polizei gehen meinte die Mutter dass es nicht nötig sei gleich zur Polizei zu gehen. Meine Mutter und ich bestanden aber darauf, denn ich wollte nicht einfach so eine derartige Beschuldigung auf mir sitzen lassen. Am selben Tag noch wurde ich von der Polizei vernommen. Es wurden Fingerabdrücke und Bilder von mir gemacht und meine Speichelprobe wurde einbehalten.
Das Kind wurde von Psychologen untersucht und auch ein gynäkologisches Gutachten wurde gemacht.
Am Anfang sagte der für mich zuständige Kripobeamte noch dass es wegen Mangels an Beweisen zu einer Einstellung des Verfahrens käme. Nur habe ich jetzt einen Termin am 17. Januar wo ich mir in einem Nebenraum die Ton und Videoaufnahme der Aussage des Kindes anhören und ansehen muss.
Ich frage mich echt wie ein Gericht so was zulassen kann. Ich kann nur sagen dass ich es nicht gemacht habe, nur glauben tut es mir keiner, gerade deshalb weil es eine harte Anschuldigung ist. Als ich das erste Mal zu meinem Anwalt ging sagte er zu mir, legen sie doch ein Geständnis ab, das wird ihre Strafe vermindern. Er hat auf mich eingeredet wie ein Wasserfall. Ich habe mir nur noch gedacht; in welchem Film ich jetzt gelandet bin.
Da es ein Pflichtverteidiger ist hat man mir gesagt, kann ich diesen nicht mehr wechseln.
Deshalb wollte ich Sie fragen wie Sie über diese Angelegenheit denken und wie meine Chancen auf einen Freispruch stehen. Ich habe gelesen das es möglich ist, einen Lügendetektortest zu machen. Wozu ich jeder Zeit bereit wäre. In den Akten (Aussagen) des Kindes sind zahlreiche Widersprüche, die das angebliche Geschehen bestreiten.
Zumal ich seit einem Jahr eine feste Freundin habe, die das Kind auch kennt aber von der sie komischerweise nie etwas erwähnt hat, wobei meine Freundin oft bei mir war als das Kind bei uns war.
Würden die Anschuldigungen des Kindes stimmen, würde das somit in die Zeit fallen in der ich schon längst eine Freundin hatte.
Gibt es eine Möglichkeit in so einem Fall die Mutter des Kindes wegen Rufschädigung anzuklagen?
Ich bin auch nicht vorbestraft und mir ist es wichtig, dass ich keinerlei Einträge in meinen Akten habe, und schon gar nicht wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern." (Zitat Ende)
Wer von gezielter Diffamierung betroffen ist, sollte sich nicht scheuen, selber Strafanzeige zu erstatten gemäß:
1.5. § 164 StGB [Falsche Verdächtigung]
(1) Wer einen anderen bei einer Behörde oder einem zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Amtsträger oder militärischen Vorgesetzten oder öffentlich wider besseres Wissen einer rechtswidrigen Tat oder der Verletzung einer Dienstpflicht in der Absicht verdächtigt, ein behördliches Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen gegen ihn herbeizuführen oder fortdauern zu lassen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer in gleicher Absicht bei einer der in Absatz 1 bezeichneten Stellen oder öffentlich über einen anderen wider besseres Wissen eine sonstige Behauptung tatsächlicher Art aufstellt, die geeignet ist, ein behördliches Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen gegen ihn herbeizuführen oder fortdauern zu lassen.
2.1 Fragwürdige sprachliche Begrifflichkeiten
"Sexueller Missbrauch"
Der scheinbar neutrale Terminus "Sexueller Kindesmissbrauch" impliziert die Vorstellung von einem Gebrauchsgegenstand, der nicht richtig gebraucht wird, sondern eben missbraucht. Der Begriff "sexueller Missbrauch" transportiere damit schon rein sprachlich eine brutale bildliche Verdinglichung, die auf die betroffenen Menschen projiziert werde, sagt der Psychologe M. Griesemer. Als ob es einen "richtigen sexuellen Gebrauch des Kindes" gäbe. Auf der einen Seite wird beklagt, dass das Kind von dem Erwachsenen für seine Befriedigung einfach gebraucht, benutzt wird; auf der anderen Seite wird gerade durch die Begriffsdenkfalle "sexueller Missbrauch" genau diese Vorstellung von einem gewaltsamen Handlungsakt an einem passiven, statischen Neutrum verstärkt und die Betroffenen zur Sache gemacht.
Obwohl es Änderungsvorschläge in der Begrifflichkeit gibt, ist der Terminus technicus nun einmal "sexueller Missbrauch"; wir sollten aber wissen, was wir da sagen, wenn wir den Begriff benutzen. (Zum inhaltlichen absurd-inflationären Gebrauch des Begriffes "sexueller Missbrauch" s. I. Teil, Allgemeines)
"Kinderschänder"
Der Kraftausdruck "Kinderschänder" – schnell in aller Munde - ist kulturhistorisches Relikt aus einer archaischen Gesellschaft, in der es rein sprachlogisch nicht um den vermeintlichen Täter, sondern um die Schande des Kindes ging: Gegenstand von etwas Sexuellem geworden zu sein, nicht mehr jungfräulich, nicht mehr vollwertig zu sein, mit Schmutz befleckt, "geschändet", mit dem Stigma des Schandhaften behaftet, eine Schande für die Familie, eine soziale Schande...
Kein Wunder, dass auch heute das "sexuell missbrauchte" Kind, sobald es Bewusstsein darüber erlangt und durch eine hasserfüllte, hysterisierte Umgebung doppelt verstört und verängstigt, das Gefühl der Schande kulturbedingt empfindet.
Auch hier sollte eine grundlegende Reflexion über den Sprachgebrauch stattfinden; über sprachliche Differenzierung, Sensibilisierung in dem gesamten Bereich.
2.2 Therapie zur "Aufdeckung von Erinnerungen"
Noch immer sind die meisten Menschen davon überzeugt, dass unser Gehirn wie ein Computer oder eine Videokamera arbeitet und alle Informationen, Geschehnisse, Eindrücke in unserem Leben aufnimmt, abspeichert und im Unterbewusstsein einfriert, so dass die Erinnerungen daran grundsätzlich jederzeit wieder abrufbar seien. Weiterhin besteht allgemein die Vorstellung, Einzelheiten oder ganze Erinnerungsblöcke, die der Erinnerung nicht mehr zugänglich seien, könnten durch spezielle Therapieverfahren wie Hypnose z.B. wieder aufgedeckt werden.
Der Erfolg der therapeutischen Bewegung zur "Aufdeckung von Erinnerungen" ("recovered memories") Ende des vorigen Jahrhunderts beruhte auf diesem Denk-Modell und ist zu einem der schwierigsten und belastendsten Phänomene im Bereich tiefenpsychologisch orientierter Psychotherapie geworden. Die originär amerikanische, dann in Deutschland rasant wachsende Akzeptanz und Anwendung verschiedener Therapieformen zur "Aufdeckung von Erinnerungen" ermutigen Frauen jeden Alters, sich der "Tatsache" zu stellen, dass sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als Kind missbraucht worden sind – auch und gerade wenn sie sich überhaupt nicht daran erinnern können. Anhänger dieser Therapieformen betonen, dass es abnorm sei, wenn jemand sich trotz intensiver Versuche nicht an seine Kindheitserlebnisse erinnern könne.
Eine Flut von Veröffentlichungen, Leidensberichten von Missbrauchsopfern, psychologisch-therapeutischem Schriftgut zur "Aufdeckung von Erinnerungen" in Zusammenhang mit "sexuellem Missbrauch" in der Kindheit überschwemmte den Markt. Seminare, Broschüren, Filme, Berichte, Bücher in suggestivem Stil von AutorInnen z. T. ohne psychologische Qualifikation trugen dazu bei, dass das Trauma, in der Kindheit sexuell missbraucht worden zu sein, zum allgegenwärtigen Thema und zur Therapievorlage wurde. So konnte es geschehen, dass Mädchen und Frauen, die sich in einer labilen, schwierigen Lebensphase befanden und unter allgemeiner Traurigkeit, Lustlosigkeit, Erfolglosigkeit, Kopfschmerzen oder dergleichen litten - die Liste angeblicher Symptome bei "sexuellem Missbrauch" in der Kindheit ist lang - sich durch die beschriebenen Opferrollen angesprochen fühlten, sich darin wiederfanden, ganz darin aufgingen, obwohl sie in ihrem Leben bis dahin nie an "sexuellen Missbrauch" gedacht hatten oder sich in irgendeiner Weise an solche Vorfälle erinnern konnten. Persönliche Defizite, Unsicherheiten, Ängste, Ärger, Wut oder Trauer über eine unbefriedigende Lebenssituation konnten jetzt in der Überzeugung fokussieren, sicher als Kind in der Familie "sexuell missbraucht" worden zu sein, womit alle Probleme mit einem Schlag eine fest zu machende Ursache bekamen.
Im Rahmen einer wie auch immer bezeichneten oder gearteten Psychotherapie tauchen bei den KlientInnen irgendwann unter dem subtil-suggestiven Einfluss voreingenommener Therapeuten "Erinnerungen" an "sexuelle Missbrauchserfahrungen" in der Kindheit auf, wobei Experten solche gezielt hervorgebrachten "Erinnerungen" für "falsche Erinnerungen" ("false memories") oder implantierte Artefakte halten.
Die Folgen dieser Bewegung waren/sind fatal; doch zunächst ein Blick auf die Gedächtnis- Forschung.
2.3 Das Gedächtnis. Erinnerungen und Vorstellungen
Das oben beschriebene Modell von Gedächtnis und Erinnerungen, wie es allgemein geglaubt wird, "widerspricht nahezu allen wissenschaftlichen Untersuchungen und Experimenten auf diesem Gebiet", schreibt Ofshe in Die missbrauchte Erinnerung, dtv 1996. Das Gehirn ist gerade nicht ein Aufbewahrungsort von allen Erlebnissen und Erfahrungen unseres Lebens; es ist kein Archiv, das pedantisch die gesamte Vergangenheit speichert.
Hans Markowitsch, Prof. f. Physiologische Psychologie in Bielefeld betont, dass unser autobiographisches Gedächtnis insgesamt nur wenig mit den objektiven Lebensdaten unserer Vergangenheit zu tun habe; wir erinnern uns vielmehr an eine (re)konstruierte, erzählbar gewordene, Identität schaffende Geschichte, jeweils gefiltert durch unsere Gefühle. Gefühle seien die Wächter unserer Erinnerungen. Erinnerungsinhalte werden immerzu von neuem konstruiert, jeden Tag neu geboren, sagt die Psychologin Elizabeth Loftus.
Unser trügerisches Gedächtnis sei jedoch keinesfalls nur Mangel, erklärt Markowitsch, eher ein Glück; wir wären sonst von Informationen überflutet; so aber gelangen die Eindrücke des ständig auf uns einwirkenden Informationsflusses vom Kurzzeitgedächtnis zunächst ins limbische System, wo deren emotionaler Gehalt bewertet wird und je nach Bedeutsamkeit auf der Großhirnrinde als Erinnerungsbild – Engramm - abgelegt wird. Man erinnert sich selten an das Ereignis selbst als vielmehr an die Gefühle, die man einst hatte.
Harald Welzer, Sozialpsychologe und Leiter der Gruppe "Erinnerung und Gedächtnis" am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen formuliert überspitzt, unser ganzes Leben sei eine einzige Erfindung. Das Gedächtnis forme zwar ein "Ich", Erinnerungen bildeten sich aber erst in der Gemeinschaft. Das erinnerte Ereignis ist nicht das, was in der Vergangenheit wirklich passiert ist, sondern was mit dem Bild und den Vorstellungen, die in der jetzigen Lebensphase "passen", erzählt werden könne.
Erschwerend kommt hinzu, dass echte Erinnerungen nachträglich nicht mehr von Pseudo-Erinnerungen, also Vorstellungen, die wir uns von einem erinnerten Geschehen machen, unterschieden werden können. Ein intensiv vorgestelltes Ereignis kann so vertraut werden, dass es irrtümlich mit einer Erinnerung in Verbindung gebracht wird statt mit dem Vorstellungsakt. Eine solche Quellenverwechslung sei bei Kindheitserinnerungen besonders ausgeprägt, erklärt die Psychologin E. Loftus in "Spektrum der Wissenschaft".
Man könnte meinen, dass besonders dramatische Vorkommnisse wie eine Vergewaltigung, ein Amoklauf an der eigenen Schule, der tragische Unfalltod der Eltern in unmittelbarer Nähe besonders stark im Gedächtnis haften blieben. Breit angelegte Untersuchungen zeigen jedoch, dass gerade solche Erlebnisse im Menschen extremen Stress und damit biochemische Prozesse im Gehirn auslösen, die die Speicherung von Erinnerungen empfindlich stören. Es gelangen nur Bruchstücke des eigentlichen Ereignisses in das Langzeitgedächtnis. Lücken in der Erinnerung werden nachträglich kreativ ausgefüllt, um sich und den anderen das Ganze verstehbar zu machen. Welzer geht davon aus, dass bei emotional stark belasteten Situationen im Nachhinein vom Gedächtnis mehr hinzugedichtete Details enthalten sind als bei normalen Ereignissen.
Als Zeuge sei der Mensch jedenfalls eine Fehlkonstruktion, sagt der Strafrechtler Thomas Rönnau, Hamburg. So seien die Erinnerungsfehler bei Zeugenaussagen auch das eigentliche Problem für die Justiz; wogegen bewusste Lügen schnell entlarvt werden könnten. Einer US-amerikanischen Studie zufolge beruhen 90 Prozent aller Justizirrtümer in den USA auf falschen Zeugenaussagen.
(Abschnitt 3: Internetquelle: spiegel.de/wissenschaft/mensch, Falsche Erinnerungen: Das Leben eine einzige Erfindung? v. Marion Rollin)
Selbst echte Erinnerungen verblassen irgendwann, und wir vergessen zunehmend, was war und mag es noch so schlimm gewesen sein. Vergessen gehört zu einem natürlichen Heilungsprozess.
Die neue psychoanalytisch orientierte therapeutische Bewegung der "Aufdeckung von Erinnerungen" betont dagegen einen Verdrängungsmechanismus, der uns nicht nur die bewussten Erinnerungen an Jahre/Jahrzehnte schrecklicher Vorkommnisse nimmt – oft dadurch, dass er die Erinnerung in dem Moment ausschaltet, in dem der "sexuelle Missbrauch" stattfindet (Dissoziation) - sondern gleichzeitig die Macht hat, jene schrecklichen Informationen im Unterbewusstein genau abzuspeichern, so dass das ganze Trauma während der Therapie abgerufen und noch einmal intensiv durchlebt werden könne, ja müsse, um es ein für alle Mal zu überwinden.
2.4 Fatale Folgen
In der Diskussion um echte oder falsche Erinnerungen bei "sexuellem Missbrauch" in der Kindheit darf nicht außer Acht gelassen werden: dass die KlientInnen, in denen während der Therapie plötzlich schreckliche "Erinnerungen", Vorstellungen, Bilder auftauchen, egal woher sie kommen, diese auch wirklich durchleben und erleiden müssen. Denn: ob jemandem tatsächlich etwas Schlimmes angetan wurde oder ob das Geschehene (nur) eingebildet, vorgestellt, falsch erinnert oder suggeriert wird: der Leidensdruck ist der gleiche.
Wer sich also in eine Therapie zur "Aufdeckung von Erinnerungen" begibt, obwohl er eigentlich ganz andere Probleme hat – ist der Gefahr ausgesetzt, ein zusätzliches, "falsches" Leid ertragen zu müssen mit fatalen Folgen für ihn und seine Familie, ein Leben lang. Denn Hass, Vergeltungs- und Rachewünsche gegen die Person, die der/dem KlientIn das angetan hat, werden dabei als grundlegend heilsam proklamiert.
Mit dem Boom der Therapie zur "Aufdeckung von Erinnerungen" und einem unübersehbar gewordenen "Psycho-Markt" mehr oder weniger qualifizierter Therapeuten kam und kommt es gehäuft zu falschen Missbrauchsanschuldigungen gegen Mitglieder der eigenen Familie und zu tragischer, langjähriger oder dauerhafter Entfremdung. Angehörige werden plötzlich nach Jahrzehnten aus buchstäblich heiterem Himmel schwerster Verbrechen beschuldigt, sexueller Vergehen monströser Art, die sie sich bis dahin nicht einmal vorstellen konnten, während die KlientInnen selber aus dem verhängnisvollen Kreis der Opferpathologie nicht mehr herauskommen.
"Wenn man die Realität akzeptiert und ausspricht, dass Inzest in unserer Gesellschaft tatsächlich vorkommt, so bedeutet das nicht, dass man akzeptieren muss, es sei in allen Fällen zu Inzest gekommen, wo er vermutet wird..." (Zitat aus: Die missbrauchte Erinnerung dtv 1996; Standard-Werk von dem Pulitzer-Preis-Gewinner Richard Ofshe und dem Journalisten Ethan Watters mit umfassendem Literaturverzeichnis).
3.1 Ein neues Pharisäertum
Wenn wir die erschreckenden Daten über die tägliche Gewalt in den Familien zur Kenntnis nehmen, wirkt der einseitig öffentlich geschürte hysterische Umgang mit dem Phänomen "sexueller Kindesmissbrauch" wie eine Alibi-Bewegung, die über den eigentlichen allgemeinen Gefühls-Notstand, die emotionale Verwahrlosung in Familie und Gesellschaft hinwegtäuschen soll. Lustlosigkeit, Ablehnung, Aversion gegenüber Kindern ist in Deutschland fast überall schmerzlich spürbar. Schon ein kurzer Blick auf die Straßen genügt, wenn Leute entzückt um einen kleinen Hund herum stehen und das Kind im Kinderwagen daneben unbeachtet bleibt. Für die Belange des Kindes interessiert sich der "Normalbürger" insgesamt wenig, aber sobald er von "sexuellem Missbrauch" hört, gerät sein Gemüt in Wallung, was letztlich mehr über ihn aussagt als über den Tatbestand. Eine neue Art Pharisäertum ist entstanden: die lauthals gezeigte, selbstgerechte Empörung über "Kinderschänder" (zur Begrifflichkeit siehe Folge II meiner "kritischen Anmerkungen zum Phänomen sexueller Missbrauch", M.R.), verbunden mit der Forderung, diese am besten an Bäumen aufzuhängen, bietet die dunkle Kulisse für all jene, die danach zu Hause ihren eigenen Familien das Leben zur Hölle machen, auf ihre Art und Weise, und sei diese noch so subtil. Von dem sexuellen Delikt kann man sich nach außen hin demonstrativ überheblich moralisch absetzen, doch wird gerade dabei der eigentliche Notstand zugedeckt: der allgemeine Mangel an Lebens- und Gefühls- Kultur in Deutschland.
Familien als entemotionalisierte Versorgungsanstalten: In einer Gesellschaft, in der das Bild des Menschen mehr und mehr zu einer rein ökonomischen Größe verkommt, ist es nicht verwunderlich, wenn der Wert von Leben und Lebendigsein in Frage gestellt, mit Füßen getreten wird. Das trifft vornehmlich die Schwachen, die Kinder und die Alten. Lohnt sich das denn alles noch?, steht hinter jeder Überlegung. Das macht auch vor den Familien nicht Halt, die am meisten unter der Rationalisierung, Ökonomisierung des Lebens zu leiden haben. Familien werden immer mehr zu entemotionalisierten Versorgungsanstalten. Es geht um Ausstattung von Räumen, Spielsachen, Kleidung, exakte Freizeitplanung, Leistung, wenn die Familien finanziell in der Lage sind, solche Dinge noch gewählt anzugehen. Neben dem mechanischen Ablauf des Alltags mit knappem Informationsabtausch herrscht freudloses, gleichgültiges oder spannungsgeladenes Schweigen am Tisch, wenn überhaupt noch miteinander gegessen wird; Eltern haben sich nichts mehr zu sagen, zumindest nichts Liebevolles, allein erziehende Elternteile sind doppelt rund um die Uhr gestresst, überfordert, ausgehöhlt, allein gelassen mit ihren Sorgen und Strapazen; es wird geklagt, gejammert, geschimpft, gebrüllt, mit Enttäuschung, Anklage, Demütigung oder Nichtachtung gestraft, liebevolle Zuwendung ist rar. Die Kinder gewöhnen sich daran, erwarten nichts mehr von zu Hause und ziehen sich raus, zurück, in sich, bleiben allein mit ihren Ängsten, Sehnsüchten, Bedürfnissen und sind anfällig für alle möglichen schädigenden Einflüsse und Verlockungen.
3.2 "Sexueller Missbrauch" als Teil allgemeinen Gewaltmissbrauchs in der Familie
Es gibt viele Formen von Gewaltmissbrauch in den Familien, der "sexuelle Missbrauch" ist ein Teil davon und kann und darf nicht isoliert betrachtet oder betont werden. Viele Menschen tragen ihr Leben lang tiefe Verletzungen mit sich herum und empfinden sich als geschädigt durch ihre Kindheit, nicht weil sie "sexuell missbraucht" worden wären, sondern weil sie seelisch und körperlich kaputt gemacht wurden durch extreme Lieblosigkeit, Hartherzigkeit ("Schade um jeden Schlag, der daneben geht", erinnert sich eine Frau an den Satz ihrer Mutter), Demütigungen, allgemeine Repressalien, autoritäre Strukturen, Ungerechtigkeiten, Herabwürdigung, Verachtung, seelisch-geistige Verwahrlosung, vielfältigste Ausnutzung etc... Die Familie: ein Schlachtfeld von Macht- und Gewaltmissbrauch, selten ein Ort der Geborgenheit und Liebe.
Intrafamiliäre Gewalt findet nicht zuletzt auch bei denen statt, die sich besonders lautstark empören, wenn es um „sexuellen Missbrauch“ geht. In seiner Pädagogik-Magisterarbeit mit dem Thema: „Häusliche Gewalt: Sexuelle Gewalt gegen Kinder, ihre Ursachen, Folgen und Präventionsmöglichkeiten'' weist Sergej Küstner (ehem. Student der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Georg-August-Universität, Göttingen 2004) darauf hin, dass sexueller Missbrauch innerhalb der Familie nur eine Teilkategorie des enormen Gewaltmissbrauchs in den Familien darstelle. Die Intensität späterer Störungen bei Opfern "sexuellen Missbrauchs" hänge damit zusammen, inwieweit die Betroffenen auch durch andere Gewaltformen beeinträchtigt wurden. Psychologen bestätigen, dass eine Monokausalität in Bezug auf sexuellen Missbrauch und Symptombildung grundsätzlich nicht nachweisbar ist, sondern viele Komponenten jeweils zusammenwirken. Es gibt nicht einmal den Nachweis darüber, dass sexuelle Übergriffe schädigende Wirkung auf Kinder haben MÜSSEN. Was dagegen nachweislich schwere Schäden bei Betroffenen hervorruft, sind die sog. Sekundärschäden bei "sexuellem Missbrauch", die erst durch die Konfrontation mit Dritten und mit der Außenwelt auftreten: Ekel und Panik der Eltern, brutale Polizeivernehmungen, unsensibles Vorgehen von Ärzten, aggressives Eingreifen von Institutionen, suggestive Befragungen durch schlecht ausgebildete "Gutachter"; dadurch entsteht in dem Kind das Stigma des missbrauchten Kindes mit Schuld- und Schamgefühlen: was immer es von jetzt ab tut oder nicht tut, alle psychischen und mentalen Defizite werden nur noch auf den Missbrauch zurückgeführt mit fatalen Folgen für seine weitere Entwicklung. Psychische Schädigungen entstehen mehr durch die Reaktionen von Instanzen, die den Missbrauch aufdecken, untersuchen und analysieren als infolge des Missbrauchs selbst. Gerichte und andere öffentliche Stellen haben darauf in den letzten Jahren reagiert und gehen seitdem vorsichtiger mit Anzeigen und Befragungen von Kindern um.
3.3 Instrumentalisierung des Phänomens "sexueller Missbrauch"
In ihrem Fernseh-Dokumentarfilm, Teil III „Vorwurf Kindesverwahrlosung: Das 16. Kind“ zeigt Sibylle Plogstedt eine Familie aus Bonn mit 16 Kindern, deren Leben sich am Rande der Verwahrlosung abspielt. Die zuständigen öffentlichen Stellen haben dem Ehepaar zwar strenge Auflagen gemacht, müssen jedoch seit Jahren den offensichtlichen Verwahrlosungstendenzen in der Familie tatenlos zuschauen, ohne eingreifen und besonders geschädigte Kinder aus der Familie nehmen zu können, weil es keine juristische Entscheidung dafür gibt. Da taucht plötzlich das Stichwort "sexueller Missbrauch" auf und sofort stehen alle Möglichkeiten offen - auch ohne richterlichen Beschluss: zwei Kinder werden noch am selben Tag stillschweigend aus dem Kindergarten ins Heim bzw. zu Pflegeeltern gebracht und dürfen von Stund ab nicht mehr nach Hause; ein kleinerer Bruder, der den offiziellen Übergriff im Kindergarten miterlebt hat, wird befragt, wie er das empfunden habe... traurig. Ebenso traurig, erschütternd das Bild des 14-jährigen Sohnes, des angeblichen "Täters", der seinen 9 Jahre alten Bruder sexuell belästigt haben soll. Keiner hat natürlich etwas gesehen, wahrgenommen, die beiden Jungen schlafen von frühester Kindheit an in einem Schlafzimmer, aber das Stichwort ist gefallen, der Junge wird zum Sündenbock. Monate später, als er seine Familie kurz besuchen darf, wird er auf der Straße vor dem Elternhaus befragt, wie es ihm so ergehe (er darf das Haus auf Geheiß des Stiefvaters, der den Jungen eine Schande nennt, nicht mehr betreten) sagt er verunsichert, er fühle sich wie ein Straftäter, er wüsste eigentlich nicht, was los sei... Die Journalistin und Filmemacherin Sibylle Plogstedt, die die Familie seit 5 Jahren mit eindrucksvollem, feinfühligem, unaufdringlichem Blick filmisch begleitet, konnte auf die Frage, was mit dem Jungen geworden sei, nur lapidar antworten, er sei jetzt natürlich in die Drogenszene abgerutscht.
"Misshandelte Kinder kümmern keinen... Für missbrauchte Kinder interessieren sich alle...." (Sabine Rückert): Es gibt unzählige Fälle, in denen der Vorwurf "sexueller Missbrauch" als letztes Mittel instrumentalisiert wird, um öffentliche Stellen zum Handeln zu bewegen. In einem Fall in Osnabrück ging es um ein Mädchen, dessen Vater die ganze Familie mit körperlicher Gewalt über Jahre in Angst und Schrecken setzte und alle tyrannisierte. Das Mädchen wandte sich verzweifelt an die Polizei, an das Jugendamt, aber niemand half, konnte helfen, hieß es. Da hörte sie, dass bei dem Vorkommnis "sexueller Missbrauch" sofort gehandelt würde. So erfand sie den sexuellen Missbrauch, schmückte die Geschichte detailliert aus, der Vater wurde sofort in Untersuchungshaft gebracht und für ein Verbrechen verurteilt, das er nie begangen hatte, nachzulesen in DIE ZEIT 19, 2002 Dossier – Unrecht im Namen des Volkes von Sabine Rückert: "... Die Behauptung, missbraucht worden zu sein, macht aus dem erniedrigten, hilflosen Kind ... eine mächtige Person... Für das, was er getan hat, konnte sie ihn nicht zur Rechenschaft ziehen, also richtet sie ihn für etwas, das er nicht getan hat. Misshandelte Kinder kümmern keinen... Für missbrauchte Kinder interessieren sich alle...." (Sabine Rückert a.a.O.)
Gewalttätige Frauen und Mütter: Wenn man von Gewalt in den Familien spricht, denkt man unwillkürlich an den Vater, den Mann. Eine einseitig feministische Forschung legt dies nahe. Doch die Auswirkungen von gewalttätigen Frauen und Müttern in den Familien ist erheblich, sogar größer. "Laut polizeilicher Statistiken treten Frauen öfter als Täterinnen von Kindermisshandlung in Erscheinung. Wie bereits angedeutet, ist es gerade aufgrund des engeren und häufigeren Kontakts zwischen Mutter und Kind wahrscheinlich, dass zwischen den beiden Konflikte entfachen. Daher spricht man generell von "familien-spezifischen Struktur" weiblicher Gewalttaten als von einer "geschlechtsspezifischen Struktur" familiärer Gewaltanwendung." (Zitat aus o.g. Magisterarbeit). Maria Reinecke, 2009
Bücherbestellungen: Die meisten der vorgestellten Bücher sind nur noch antiquarisch erhälich und können bei Abebooks oder ZVAB online gesucht werden.
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